Ulrike Thomas
Foto und Text

Tilly im Alter von einem Monat – Foto: Ulrike Thomas

Schweineleben
Biografie einer »Dubbe-Wutz«
Die Tierliebe der Menschen ist gleichermaßen ausgeprägt wie wider­sprüchlich. Haustiere wer­den umsorgt und verwöhnt – oftmals in einem Ausmaß, das kaum noch ihren natürlichen Be­dürfnissen entsprechen dürfte – gleichzeitig haben die sogenannten Nutztiere nichts zu lachen. Ihre Funktion wird aus­schließlich in ihrer materiellen Verwertbarkeit in der Nahrungsproduktion gesehen. Das gilt insbesondere für Schweine, die die Deutschen »zum Fressen gern« haben.
Gezähmt wurden Wildschweine etwa 8.500 v. Christus im Orient. Den ers­ten Nachweis, dass sie in unseren Landen gegessen wurden, gibt es aus der Zeit um 5000 v. Christus. Früher wur­den die Tiere von Schweinehirten im Freien gehütet. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts ging man zur Stallhaltung mit Weidegang über. Heute lebt lediglich ein Prozent der Schweine in Freiland­haltung, mehr als 75 Prozent der Tiere werden in Be­trieben mit mehr als 1000 Schweinen ge­halten. Exakt 0,75 Quadratmeter beträgt der gesetzlich festgelegte Mindestraum, der einem Schwein in der konven­tionellen Produktion zu­steht. Aber auch die Haltungsstufen, die mehr Tierwohl signalisieren, er­weitern den Raum nur marginal. Das gilt selbst für die Mindestanforde­rungen in der Biohaltung. Trotz  der von Tierschutzorganisatio­nen erbrachten eindeutigen Nach­weise über die katastropha­len Bedingungen in der Massentierhaltung, hat sich die Situation in den Ställen kaum verbessert. Auch etliche Verbraucherinnen und Verbraucher – sensibilisiert durch die bekannt ge­wordenen Fleischskandale – wünschen sich bessere Lebensbedingungen in der Fleischproduktion. Doch im Gegensatz dazu hat in den letzten Jahren die Verdichtung, also die durchschnittliche Anzahl der Schweine pro Be­trieb, zugenommen.
Deutschland ist nach Spanien der zweitgrößte Schweinefleischproduzent in Europa. 2023 hiel­ten hier 16.170 Betriebe etwa 21,2 Millionen Schweine, während es 1950 noch knapp 2,4 Millio­nen Schweinehalter­innen und -halter gab, die rund 12 Millionen Schweine hielten. Diese Ent­wicklung zeigt in aller Deutlich­keit, dass nicht die natürlichen Bedürfnisse des Tieres die Hal­tungsbedingungen be­stimmen, sondern alleine die Wirtschaftlichkeit. Im Schweinestall herrscht Fließbandatmosphäre.
Auch wenn der Anteil von Menschen, die vegetarisch oder vegan leben auf bis zu 12 Prozent gewachsen ist – andere Schätzungen gehen von weit geringeren Zahlen aus – und der Fleisch­konsum insgesamt abgenommen hat, ist der Konsum von Schweinefleisch immer noch hoch und liegt weiter deutlich über dem von Geflügel und Rind. Mehr als 44 Millio­nen Schweine wer­den in Deutschland pro Jahr ge­schlachtet.
Letztlich bestimmt das Konsumverhalten der Kundschaft, welche Lebens­bedingungen einem Nutztier zugestanden werden. Wer im Supermarkt das Kilo Schweinefleisch für zehn Euro kauft, macht sich vermutlich wenig Ge­danken darüber, wie das Tier, aus dem das Fleisch herausge­schnitten wurde, vor seinem Tod gelebt hat.
Dass das Wohl eines Tieres und seine Vermarktung nicht im Widerspruch stehen müssen, zei­gen Zuchtformen, die dem Tier ein Eigenleben zuge­stehen und seine natürlichen Bedürfnisse berücksichtigen. Dazu gehört zuallererst genügend Fläche, damit Schweine ihren ausgeprägten Bewegungsdrang ausleben und starke Muskeln aufbauen können. Auch gutes Futter, das ihrem Körper eine adäquate Grundlage für eine gesunde Entwicklung schafft, ist wichtig. Schweine sind zwar Allesfresser aber dennoch keine Müllschlucker. Und, als äußerst soziale Wesen, brauchen sie Kontakt zu ihren Mitschweinen. Kommt dann noch eine Umgebung hinzu, in der sie ihre Neugier befriedigen können und die ihnen eine gewisse Unabhängig­keit zugesteht, füh­len sie sich sauwohl.
Schweine sind Lebewesen, wenn man sie leben lässt. Und wie ein solches Schweineleben aus­sehen kann, darf ich ein Jahr lang auf der Schweinefarm der »Schweinothek« im pfälzischen Gau-Bickelheim kennen lernen. Im Ab­stand von jeweils etwa vier Wochen besuche ich »mein« Schwein (Tilly) und begleite seinen Werde­gang von Geburt bis Schlachtreife.
Wer sich wie ich für diese liebens- und lebenswerten Tiere interessiert, kann sich schon jetzt  auf mein Buch freuen, das im nächsten Frühjahr im Zeitfenster-Verlag erschei­nen wird.
Dr. Ulrike Thomas
Mannheim 

1 Quelle: So leben Schweine, Broschüre der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, 2. Auflage 2021

2 Quelle: Entdecke die Landwirtschaft, Broschüre des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, 2023

3 Quelle: Bundesinformationszentrum Landwirtschaft 2025, www.landwirtschaft.de