Samstag 18. und Montag 20. Januar 2025
Berlin, mit 3,8 Millionen Einwohner*innen doppelt so groß wie die Nummer zwei auf der Liste der Großstädte (Hamburg), ist ohne Zweifel eine faszinierende Stadt mit unzähligen Orten und Sehenswürdigkeiten, die es zu erkunden gälte. Obwohl ich schon etliche Male hier war, ist es mir bisher nicht gelungen, der Bundestagskuppel einen Besuch abzustatten. Diesmal habe ich rechtzeitig reserviert.
Von Rangsdorf aus fahren Schwester, Schwager und ich bei trübem Wetter mit dem RE 8 bis Bahnhof Potsdamer Platz, wo sich, wie von Zauberhand gezogen, der Dunst hebt und Berlin uns mit strahlendem Sonnenschein empfängt. Die Kontrollen im Bundestagsgebäude erinnern an die eines Flugplatzes, doch das Personal ist freundlich und schleust uns zügig zur Kuppel über dem vierten Obergeschoss. Hier erwartet uns ein wunderbarer Ausblick über die Stadt. Unten formiert sich ein Demonstrationszug für eine Wende in der Agrarpolitik. Der Kuppelbau hat seine Reize und die Kamera findet ihre Motive.
Auch »Wir haben es satt« (Motto der Demo) und schließen uns – wieder unten – dem Demonstrationszug an, der trotz Hauptstadtgewichts Unterstützung brauchen kann, zumal wegen des Ausbruchs der Maul-und-Klauen-Seuche keine Traktoren mitfahren dürfen.
Dann geht es mit Bus und Bahn nach Kreuzberg, wo wir uns nach einem Kaffeepäuschen einen sehr schönen Film anschauen (»Die leisen und die großen Töne«), der den Zusammenhalt in schwierigen Zeiten zelebriert. Den Tag beschließen wir bei syrischer Küche im »Kreuzberger Himmel«, ein Restaurant, das vom Verein »Be an Angel e. V.« betrieben wird, der von Geflüchteten gegründet wurde und sich für deren Integration einsetzt. Satt und zufrieden lassen wir uns von dem gut ausgebauten ÖPNV nach Hause bringen.
Montag. Mein heutiges Ziel, die »NochMall«, ein Tipp von Ute Hagg-Weber, der Leiterin des Recyclinghofs Morchhof, die ich für meine »Kurpfälzer Müllgeschichten« porträtieren durfte, führt mich mit öffentlichen Verkehrsmitteln (mit RE 8 nach Berlin-Südkreuz, mit S 41 Richtung Westkreuz nach Jungfernheide und mit Bus M21 Richtung Rosenthal-Nord) von Süd nach Nord längs durch die Stadt in den Berliner Stadtteil Reinickendorf in die Viktoria-Allee 99. Das Recyclingkaufhaus wird von der Berliner Stadtreinigung betrieben. Im Erdgeschoss gibt es – übersichtlich geordnet – Dinge aller Art, die in einem Haushalt gebraucht werden. Im Obergeschoss lädt zwischen Werkstatt – hier findet jeden Donnerstag ein Repaircafé statt – und Medienabteilung ein Café zum Verweilen ein. Zudem werden Upcycling-Workshops angeboten, es gibt Auktionen, Kunstausstellungen und Kurse rund um das Thema Nachhaltigkeit.
Die NochMall wirbt: »Wir wollen das freundlichste Kaufhaus Berlins werden, und mit unserem Personal die Vielfalt Berlins widerspiegeln. In unserem Team finden sich neben Verkäuferinnen und Lagerhelfern auch Schauspieler und Globetrotter. Wichtig war uns, Menschen zu gewinnen, die Spaß daran haben etwas Neues mit aufzubauen, die sich für keine Aufgabe zu fein sind und die alle Kundinnen und Kunden zuvorkommend behandeln.« Eine dieser interessanten Menschen lerne ich im Café kennen: Samia Burchardt. Die Sozialarbeiterin ist ein echtes Multitalent. Neben ihrer Vollzeitstelle in der NochMall ist sie als Musikerin unterwegs und arbeitet als Dozentin in der Musikschule Spandau. Und als ob das nicht schon mehr als genug wäre, betreut sie außerdem Sterbende im Hospiz. Schwer beeindruckt frage ich die Schafferin, ob ich sie fotografieren darf. Ja, ich darf. Was für eine tolle Frau!
Um noch etwas Berliner ÖPNV fahren zu üben, bewege ich mich mit Bus, S- und U-Bahn im Zickzackkurs durch die Stadt und lande schließlich am Kurfürstendamm. Dem KaDeWe (Kaufhaus des Westens) – sozusagen das Kontrastprogramm zur NochMall – statte ich einen Besuch ab, um mich zu vergewissern, dass es noch existiert (war da nicht von Pleite die Rede?). Mit 60.000 Quadratmetern Verkaufsfläche ist es das größte Warenhaus auf dem europäischen Festland (das Harrods in London hat fast 100.000 m² Verkaufsfläche). Noch ein Foto im obersten Stockwerk, wo es alles gibt, was den Gaumen verwöhnt, dann bricht die Dunkelheit an und ich beende – mit Eindrücken und Begegnungen bereichert – meinen Besuch in unserer Bundeshauptstadt.
Zurück in die Heimat bringt mich am nächsten Tag ein ICE – super pünktlich und zuverlässig – nur in Mannheim streikt der Rhein-Neckar-Verkehrsverbund, so dass ich für die letzten Kilometer einen Taxifahrer bemühen muss, der sich unterwegs bitterlich über das ständig schlechter werdende Geschäft beklagt.