Ulrike Thomas
Foto und Text

Donnerstag, der 1. August 2024
Ab heute gilt mein Ticket. Ich will mich langsam »einfahren« und beginne mit der nächstgelegenen Station: Mainz, die Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz. Von der Zahl der Einwohner*innen her (rund 220.000) ist sie etwa ein Drittel kleiner als Mannheim (rund 310.000).
Es muss um die 40 Jahre her sein, dass ich das letzte mal dort war. Dunkel erinnere ich mich an ein Bewerbungsgespräch und einen Tagesausflug mit einem Freund. Die Bilder sind verblasst.
Mannheim HbF Gleis 2: Habe ich Tomaten auf den Augen oder ist die Bahn von außen tatsächlich nicht gekennzeichnet? Ein Blick auf den Bildschirm im Inneren zerstreut meine Zweifel. Hier bin ich richtig. Pünktlich um 9.13 Uhr fährt die S6 ab. Der Zug in Doppeltraktion ist erstaunlich leer und angenehm klimatisiert.
Kurz vor Ludwigshafen-Oggersheim stoppt der Zug. Etwa fünf Minuten später unterrichtet uns eine weibliche Stimme durch den Lautsprecher: »Aufgrund einer technischen Störung stehen wir hier auf unbestimmte Zeit. Wenn ich nähere Informationen habe, sage ich Ihnen Bescheid.« Weitere fünf Minuten später: »Die technische Störung bezieht sich auf den zweiten Zugteil. Ich muss diesen erstmal entkoppeln und dann neu beifahren.« Dann eilt die Fahrerin an uns vorbei. Sie ist offenbar die einzige Bahnmitarbeiterin im Zug. Die Uhr auf dem Display der Bahn zeigt 8.50 Uhr, meine Armbanduhr 9.32. Um 9.00 Uhr Bahn und 9.41 Realität: »Die Störung konnte beseitigt werden, wir können sofort weiterfahren. Wir haben derzeit eine Verspätung von ... äh, die wird mir garnicht angezeigt ... von 20 Minuten.« Und der Zug fährt.
Die Fahrt hat etwas von einem Déjà-vu. Besonders an den Stationen in und um Frankenthal, meiner Ex-Heimat, unter der Brücke durch, über die ich mich auf meinem Schulweg zweimal am Tag mit dem Fahrrad quälen musste oder in Bobenheim am Littersheimer Weg vorbei ...
Durchsage unserer Fahrerin kurz vor dem Bahnhof Worms (9.18 bzw. 10.02 Uhr): »Das Fahrzeug zeigt wieder eine Trennung des zweiten Zuges an. Das heißt, ich muss das gleiche Spiel machen wie vorhin, Zug entkoppeln und wieder beifahren.« Und erneut eilt die Fahrerin vorbei.
Gut, dass ich keinen Termin habe. Habe ich schon erwähnt, dass die Toilette defekt ist?
Um 10.15 Uhr (9.31) fährt der Zug in den Wormser Bahnhof ein. Durchsage 10.17 Uhr: »Es tut mir leid, der Zug endet hier ...«
Meine Frage, ob sie für ein Interview und ein Foto bereit stünde, verneint die Fahrerin freundlich. »Tut mir leid, ich hänge hier in der Leitung.« Ich finde, sie hat angesichts der Umstände einen Superjob gemacht.
Zweiter Anlauf mit SE 14 nach Frankfurt, mit doppelter Ladung natürlich voller als die S6. In Bodenheim verabschiedet sich die nette Mitreisende aus Bad-Dürkheim. Sie ist auf dem Weg, ihre Enkel zu besuchen.
11.05 Uhr Ankunft in Mainz, 33 Minuten später als geplant. Hier regnet es, zunächst ganz angenehm nach den heißen Tagen. Vor dem Bahnhof ein unübersichtliches Gewirr von Straßenbahnen und Bussen. Trotz bester Vorbereitung durch die vorab erhaltenen Pläne der Tourismus-Info, die sich hier »Mainz-Store« nennt, habe ich keine Ahnung, welche Bahn mich in die Altstadt transportieren würde, die Orte auf den Anzeigen sagen mir nichts. Eher zufällig lande ich in einem Bus, der in die richtige Richtung fährt. Den Rest gehe ich zu Fuß, der weithin sichtbare Dom dient mir als Orientierung. Das Wasser von oben wird zunehmend penetrant. Die angesagte Regenfront ist über uns. Da bleibt nur ein Café und danach die Stadtrundfahrt im Gutenberg-Express. Die 10 Euro sind gut investiert. Das klapprige Bähnchen ruckelt zu den wesentlichen Touristen-Highlights.

Zurück am Gutenberg-Platz bzw. am »Höfchen«, wo Busse in alle Richtungen abfahren, treibt der Hunger und ich folge einer der Empfehlungen des Mainz-Stores: vegetarisches Restaurant »Schrebergarten«. Inzwischen kann ich die Wege etwas besser abschätzen, Mainz scheint überschaubar. Nach ein paar Stationen mit dem Bus – es ist schon bequem, sich nicht um Fahrscheine kümmern zu müssen – gehe ich die Kurfürstenstraße bis zur Nummer 9. Die Neustadt ist ein ansprechender, aufgeräumt wirkender Wohnstadtteil. Im Restaurant bestellt man an der Theke. Die nette Bedienung hilft mir bei der Orientierung und berät mich bei der Auswahl, das Essen schmeckt. Als der Kundenandrang nachgelassen hat, können wir uns etwas unterhalten. Die Bio-Öko-Szene sei in Mainz eher im Entwicklungsstadium, erzählt Lioba Lefken auf meine Nachfrage. Und sie ist bereit, sich von mir ablichten zu lassen. Meine Begegnung des Tages.

Begegnung des Tages: Lioba Lefken – Foto: Ulrike Thomas

Von hier aus ist der Weg zum Bahnhof locker zu Fuß machbar. Um 15.50 bin ich da. Nach Fahrplan sollte der nächste Zug nach Mannheim um 16.11 Uhr abfahren. Tatsächlich steht noch der Zug von 15.11 Uhr auf dem Gleis, der Stadt-Express (SE) 14 sieht von außen gut gefüllt aus. Ich entscheide mich einzusteigen und finde einen Platz. Der junge Mann mir gegenüber weiß nicht, welche Ursache die Verspätung hat.
»So, sie bewegt sich doch«, schallt wenige Minuten später eine männliche Stimme aus dem Lautsprecher. »Ich bin der Ersatzlokführer und wünsche Ihnen trotz allem eine gute Fahrt. Unsere Gesamtverspätung beträgt 46 Minuten.«
Außer einer »Verzögerung unserer Weiterfahrt aufgrund der Durchfahrt eines anderen Zuges um wenige Minuten«, verläuft die Fahrt bis Mannheim reibungslos.
Alles in allem viel Verspätung, ein Ersatzzug und ein Ersatzlokführer, keine schlechte Bilanz für den ersten Tag.