Ulrike Thomas
Foto und Text

Mittwoch, der 7. August 2024

Die S6 soll eine weitere Chance erhalten. Heute also nach Wiesbaden, in die hessische Landeshauptstadt. Zugegeben, da war ich noch nie. Auch Wiesbaden reicht mit ca. 286.000 Einwohnerinnen und Einwohnern nicht ganz an Mannheim heran. Aber wenn ich den vom Tourismusbüro erhaltenen Informationen Glauben schenken darf, dann hat die Stadt einiges zu bieten.
Pünktlich um 10.13 Uhr setzt sich der Zug, erneut ziemlich leer und angenehm klimatisiert, in Bewegung. Diesmal stimmen meine Uhrzeit und die der Bahn überein und die Toilette funktioniert.
»Papa, die Mama hat das Ticket nicht bezahlt«, kommt eine Stimme aus der nächsten Sitzreihe angesichts der Schaffnerin. Die zeigt sich freundlich und verlangt nur den normalen Fahrpreis. Und ich darf endlich mal mein Deutschlandticket auf dem Handy vorzeigen.
Hauptbahnhof Worms: »Liebe Fahrgäste, aufgrund eines defekten Stellwerks verzögert sich unsere Weiterfahrt.« Nun gut, die fünf Minuten seien toleriert. Zwischen Osthofen und Guntersblum stehen wir schon wieder auf der Strecke. Keine Ansage, Weiterfahrt. »Entschuldigen Sie die aktuelle Verspätung von elf Minuten.« Kurz vor Mainz – Römisches Theater: »Die Weiterfahrt unseres Zuges wird sich leider um wenige Minuten verzögern. Grund dafür ist die außerplanmäßige Reparatur an einem Signal.«
12.01 Uhr, 14 Minuten später als vorgesehen, erreicht der Zug Wiesbaden.
Spontan steige ich in den Bus Nr. 1, der zum Neroberg fährt und mir damit eine kostenlose erste Stadtrundfahrt beschert. Die 1888 eingeweihte Nerobergbahn ist die älteste mit Wasserballast betriebene Drahtseil-Zahnstangenbahn Deutschlands, ein echtes technisches Kulturdenkmal. Als Standseilbahn wird ihre Geschwindigkeit durch eine Handbremse reguliert und der Antrieb basiert mittels Wasserballast auf Schwerkraft.
»Das kriegen wir hin«, lässt sich der Fahrer nicht aus der Ruhe bringen, als er sich zwischen zwei großen Kinderwägen, mehreren Kindern und den dazugehörigen Eltern und Großeltern inklusive einer neugierigen Mannheimerin in seinen Führerstand zwängt. (Ganz im Gegensatz zu seinem griesgrämigen Kollegen, den ich bei der Talfahrt erwische. Dieser lässt nichts und niemanden an diesen Platz.) Nachdem oben alle ausgestiegen sind, bleibt ein wenig Zeit, um sich zu unterhalten, bis die Bahn mit Wasser vollbetankt ist.
»Ich bin ein Wiesbadener Bub«, erzählt der überaus freundliche Mann. Ich erkläre mein Projekt und er ist sofort bereit, sich dafür ablichten zu lassen. Als Bediensteter der ESWE (Stadtwerke Wiesbaden) Verkehr bedient er das Bähnchen, wenn dort Not am Mann ist. Ansonsten ist er unter anderem als Kontrolleur unterwegs. Dass er auch in dieser Funktion »Mensch bleibt«, wie er sagt, nimmt man Harold Freeb unmittelbar ab.


Auf dem Hausberg Wiesbadens stärke ich mich im Restaurant, das zu dem im Bauhausstil gebauten und 1933 eingeweihten Opelbad gehört. Wäre nicht gerade ein Gewitter im Anzug gewesen, hätte ich einen noch schöneren Blick auf das Bad und Wiesbaden gehabt. Vor dem Gewitter streife ich die Russische Kirche und den Nerobergtempel.

Den ersten Regen verbringe ich im Bus, der mich zum Dern'schen Gelände bringt, dem gleichermaßen großzügigen wie zentralen Platz in Wiesbaden. Da es nun doch noch heftiger von oben tröpfelt, statte ich der Tourist Information einen Besuch ab und bedanke mich für das Informationspaket. Danach streife ich, von oben sanft berieselt, durch die ansprechende Fußgängerzone, die den gesamten Stadtkern durchzieht. Neben Geschäften aller Art reiht sich in manchen Gassen Speiselokal an Speiselokal. Offenbar hat man hier keine Angst, mit autofreien Straßen die Kundschaft zu vergraulen.
Auf den Spuren der »Geheim-Tipps« des Touristenbüros lande ich im Backhaus Bürger, wo ich einem Fernsehteam in die Arme laufe, das die vielfach ausgezeichnete »kleinste Backstube Wiesbadens« porträtiert. Liebend gerne hätten die drei die eigens aus Mannheim Angereiste zu ihren Motiven befragt, doch ich lehne dankend ab. Umso lieber unterhalte ich mich mit dem freundlichen Bäckermeister, der heute meine zweite Begegnung des Tages ist. Das (oder der?) »Bobbes«, das ich dort erstehe, ist einfach köstlich und das Croissant, das mein Frühstück am nächsten Tag krönt, das beste, das ich seit langem gegessen habe. »Kumme se ruisch mol widder vorbei«, verabschiedet er mich und ich verspreche es.
Auch den Tipp »Nerostraße« suche ich auf und trinke gut beschirmt einen Kaffee im idyllischen »Dale's Cake«.

Im Bahnhof habe ich noch Zeit und schaue mich um. Superpraktisch erscheint mir das gleichermaßen ordentliche wie übersichtliche und kostenlose Fahrradparkhaus direkt am Bahnsteig mit ausreichend freien Plätzen und einer Radservicestation.
18.12 Uhr fährt die S6 pünktlich ab. Unterwegs kommt es dann immer dicker. Zunächst die übliche »Verzögerung aufgrund der Vorfahrt eines anderen Zugs.« Dann: »Ein defekter Bahnübergang hält uns etwas auf.« Das »etwas« entwickelt sich ... In Nierstein: »Leider ist der Bahnübergang vor uns defekt durch Blitzeinschlag. Es muss jeder Zug einzeln aufgerufen werden, das verzögert unsere Weiterfahrt« ... »Wie ich gerade erfahren habe, gibt es nun auch Probleme mit dem Stellwerk und den Signalen, aber es wird fieberhaft daran gearbeitet, dass es weitergeht.«
Ich schreibe meinen Text und schaue den Frachtschiffen beim Vorbeifahren auf dem Rhein zu, versuche ein wenig zu dösen ... Und tatsächlich, es geht weiter ... ein paar Meter ... und noch ein paar ... und endlich an dem durchgeknallten Bahnübergang vorbei. »Wegen Problemen mit einem Stellwerk haben wir leider eine Verspätung von 35 Minuten.« Und die verkürzt sich bis Mannheim auf nur noch 21 Minuten.
Um doch etwas Positives über die S6 zu sagen: In dieser stündlich verkehrenden praktischen Verbindung zwischen Mannheim und Wiesbaden kommen die Durchsagen bei Verzögerungen zeitnah, freundlich und mit nachvollziehbarer Begründung.