Ulrike Thomas
Foto und Text

Dienstag 27. und Mittwoch 28. August 2024

Das Projekt hat etwas wunderbar Entschleunigendes. Zwar wächst der Organisationsaufwand von Woche zu Woche – ab heute muss ich an meinem Ziel übernachten – aber wenn ich dann im Zug sitzend zur Passivität verdammt und zum Vertrauen in die Leistung der Bahn gezwungen bin, zudem losgelöst von anderen Verpflichtungen, sehe ich dem, was kommen möge, mit höchster Gelassenheit entgegen.
Fast fünf Stunden soll die Fahrt dauern, zwei Umstiege und wieder die S6 nach Mainz. Und was soll ich sagen: Die Fahrt verläuft störungsfrei (Nein, ich beschwere mich hier nicht über laut telefonierende Mitreisende und Lewwerworschd- und andere Gerüche), die Umstiege in Mainz und Koblenz funktionieren problemlos (ich plane stets mindestens 15 Minuten Umstiegszeit ein) und die Bahnen sind bis auf drei Minuten pünktlich. Und nicht zu vergessen, der Streckenteil am Rhein entlang ist einfach schön.
Düsseldorf – ich war vor 35 Jahren einmal beruflich hier und erinnere mich dunkel an die Königstraße – begrüßt mich wie die typische Großstadt: laut. Ein kurzer Fußweg führt zu meinem Hotel am Stresemannplatz, wo ich von der Rezeptionistin sehr freundlich eingecheckt werde. Das Zimmer empfängt mich allerdings eiskalt, also Klimaanlage aus und den Stecker vom Fernseher raus (ich hasse Stand-by-Lichter) und die Tour kann losgehen.
Ein vegetarisches Restaurant gibt es gleich in der Stresemannstraße (ja, hier wird man am Tisch bedient!), vielleicht komme ich heute Abend darauf zurück. Jetzt geht's erst einmal quer durch die Innenstadt. Offensichtlich isst und trinkt man gerne in Düsseldorf. Das erste kulinarische Highlight ist der Markt am Karlsplatz (täglich außer sonntags geöffnet), in der Altstadt reiht sich Lokal an Lokal. Einen Stadtplan habe ich bereits, einen Linienplan erhalte ich bei der Tourist-Info. Nun folge ich dem Tipp einer Freundin den Rhein entlang zum Medienhafen. Und wieder einmal wird die Mannheimerin neidisch, hat man doch hier die Zeichen der Zeit in den 1990er Jahren erkannt und die komplette Bundesstrasse unter die Erde verlegt, das Rheinufer neu gestaltet und 1995 die neue Promenade eingeweiht, die von Einheimischen wie Touristinnen und Touristen gerne genutzt wird. Im Museum KIT kehre ich kurz ein.

Rheinpromenade – Foto: Ulrike Thomas

Dann nehme ich Landtag und Rheinturm mit, passiere WDR und ZDF, bevor ich den »Einstürzenden Neubauten« des Kalifornischen Architekten Gehry erliege, wahrlich imposante Fotomotive.

Medienhafen – Fotos: Ulrike Thomas

Das alles gehört zum relativ jungen und ausgesprochen luxuriösen Stadtteil Unterbilk, der sich den Vorwurf der Gentrifizierung gefallen lassen muss. Das Lorettoviertel – als älterer Teil von diesem Stadtteil – hat viel Charme. Hier stärke ich mich bei »Satt und Grün«, einem veganen Selbstbedienungslokal mit »fairem« Konzept und supernettem Personal. Die junge Frau an der Kasse hätte das Zeug zur »Begegnung des Tages« aber der Tag ist noch jung. In der Panoramabar des Rheinturms (Aufzug 9 € für Seniorinnen und Senioren), cirka 180 Meter über der Erde, genieße ich die Aussicht auf die Stadt und weit darüber hinaus. Bei einem Pils verschaffe ich mir anhand des Stadtplans Orientierung. Auch den Linienplan interpretiere ich richtig, wie der freundliche Kellner mir bestätigt.

Die Straßenbahn bringt mich direkt zurück zum Hotel. An einem der Tische auf der Straße vor der Hotelbar schreibe ich meinen Tagesreport. Zusammengefasst: Perfekte Bahnreise, perfektes Wetter, interessante Stadt, Lust auf mehr.

Nach einem ausgiebigen Frühstück auf dem Markt am Carlsplatz setze ich am nächsten Tag meine Erkundung per City-Bus (20 €) fort und lerne viel. Das »Dorf an der Düssel« (das Bächlein gibt es noch) verdankt seine Ernennung zur Landeshauptstadt 1946 – das Geburtsjahr von Nordrhein-Westfalen (vormals verschiedene preußische Provinzen) – dem glücklichen Umstand, dass es im II. Weltkrieg weniger zerstört wurde als Köln. Die Landesbehörden konnten hier relativ schnell einziehen. Vielleicht erklärt das die folkloristisch zelebrierte angebliche Feindschaft zwischen den beiden Städten. Der Bus fährt die Touristenhighlights an, einige kenne ich schon. Und die Superlative sprudeln aus dem Lautsprecher: ... »die längste Theke der Welt«, ... »das älteste Kaufhaus Deutschlands«, ... »die meisten Modegeschäfte nach London und Paris (konzentriert in und um die Königsallee ›Kö‹)« ... Sämtliche Kunstformen – erwähnt sei Joseph Beuys  – haben sich in Düsseldorf getummelt und verewigt. Ein knapp 24-stündiger Aufenthalt ist zu kurz, um die zahlreichen Museen auch nur eines Blickes zu würdigen. Musikalisch reicht die Palette von Robert Schumann über Kraftwerk bis zu den Toten Hosen. Und berühmte Architekten haben ihre Spuren in der Stadt hinterlassen. Es gibt unzählige Prachtbauten in allen erdenklichen Stilen. 

Galeria Kaufhof an der Kö – Foto: Ulrike Thomas

Nach der Rundtour mit dem Bus bestens informiert, folge ich einem weiteren Tipp der Freundin, der »Grüne Hügel« (außen Hainbuchenhecken, innen Büros und Geschäfte) am Schadow-Platz (Kö-Bogen II), ein wahrhaft imposantes Bauwerk.

Grüner Hügel – Foto: Ulrike Thomas

Und fast zum Schluss, als ich wieder einmal vor ihr stehe, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Sie ist die Begegnung des Tages in Düsseldorf, habe ich sie in dieser imposanten Stadt doch wahrlich auf Schritt und Tritt gesehen: Die Gelbphase für Fußgängerinnen und Fußgänger. Was 1955 als Versuch begann, endete nie und ist nun einzigartig in Deutschland (in Rom begegnete mir einige Wochen später etwas ähnliches, dort werden sogar die Sekunden, die den auf Schusters Rappen unterwegs Seienden noch bleiben, bis es rot wird, heruntergezählt). Und sie ist freundlich, bereitet eine/n auf das Grün vor und das Rot und ist lang genug, um noch rüber zu kommen. Ob mein Eindruck täuscht, dass hier weniger Menschen bei Rot über die Ampel gehen?

An der Kö steige ich dem Protzbau der Galeria Kaufhof aufs Dach und fotografiere vom oberen Parkdeck aus. (Kleiner Tipp für Fotografinnen und Fotografen, die wie ich das Fotografieren von der Juchhe lieben, es gibt in fast jeder Stadt auf Kaufhäusern oder Hochgaragen eine gute, kostenlose Möglichkeit dazu).

Last not least gebe ich einer Hausbrauerei die Ehre und genehmige mir ein Alt mit Schuss (Malztrunk), ein Hochgenuss. Weniger erfreulich sind die auffallend unfreundlichen Kellner. Vielleicht sollte »Mann« hier eine Schweinshaxe essen oder 40 Jahre jünger sein oder schlicht den City-Guide vorher studieren, wo diese spezielle Art der Gästebehandlung als Markenzeichen der sogenannten Köbes angekündigt wird. Aber wie soll man auch sein, wenn der Job daraus besteht, die Leute abzufüllen und in diesem Zustand wieder loszuwerden.

Hausbrauerei »Zum Schlüssel« – Foto: Ulrike Thomas

Für meinen Weg zum Bahnhof vertraue ich mich der U-Bahn an. Auch in diesen – gut ausgebauten – unterirdischen Gefilden zeigen Kunstwerke Präsenz, ebenso am Bahnhof selbst.

Hauptbahnhof – Foto: Ulrike Thomas

Die Rückreise startet ein wenig holprig. Im riesigen Düsseldorfer Hauptbahnhof hagelt es Verspätungsmeldungen: 30, 50 und 75 Minuten. Mein Zug kann das Gleis nicht anfahren, weil der vorausfahrende ICE nach Frankfurt zu spät kommt, weil dessen vorausfahrender auch zu spät kommt, die übliche Kettenreaktion. Die Bahn fährt dreizehn Minuten später ab, völlig überfüllt. Zufällig lande ich im 1.-Klasse-Abteil, wo alle Sitze frei sind. Die »Menschen 2. Klasse« stehen sich dicht gedrängt die Beine in den Bauch. Ich setze mich. Gut, dass ich in Koblenz 22 Minuten Umsteigezeit eingeplant habe, in Brühl beträgt die Verspätung bereits 15 Minuten, in Bonn 17. Nach und nach nehmen auch die Mitreisenden Platz (wir werden nicht kontrolliert) und der Umstieg in Koblenz klappt, ebenso der in Mainz und gegen 20 Uhr bin ich zurück im an diesem Abend besonders dampfigen Mannheim.