Freitag 13. bis Sonntag 15. September 2024: Dresden
Die Bahn fährt in Erfurt fast pünktlich ab und kommt genauso in Leipzig an. Da ich nur wenige Minuten Umsteigezeit habe, wird es knapp von Gleis 8 nach Gleis 21. Es klappt, der Anschlusszug hat 15 Minuten Verspätung. Die Bahn ist rappelvoll, verspätet sich bis zum Zielbahnhof um weitere fünf Minuten und kommt 17.03 Uhr an. Wurscht, ich habe keine Termine mehr.
Dresden empfängt mich unfreundlich. Nicht nur, dass es schüttet, die Frau in der Tourismus-Info schickt mich in die falsche Richtung zu meinem Hotel, die Gegend um den Hauptbahnhof ist unwirtlich, seelenlose Einkaufsklötze so weit das Auge reicht. Mein riesiger Bettenklotz, ein ehemaliges Interhotel, reiht sich nahtlos ein. Dort erfahre ich, dass ich bei meinem Arrangement über die »Dresden Information« mehr bezahlt habe für meine zwei Übernachtungen als sie im Hotel selbst gekostet hätten. Ich beziehe mein Zimmer im siebten Stock mit Blick auf das bildhübsche Einkaufsparadies. Es ist Resultat des Wiederaufbaus ab 1962. In der Nacht zum 14. Februar 1945 wurde die gesamte Innenstadt zerstört und nach dem Krieg wurden die Trümmer weggeräumt, so dass die Prager Straße als eine der ersten Fußgängerzonen Deutschlands völlig neu konzipiert und zu einer modernen Stadtlandschaft, wie man sie damals verstand, gestaltet werden konnte.
Da mein Magen langsam in die Kniekehlen sackt, mache ich mich auf den Weg zur Frauenkirche, wo mehr Stadtflair winkt.
Es tröpfelt immer noch und ich suche nach einem italienischen Restaurant. Der Hunger treibt mich schließlich ins Vapiano. Der »Weg zur digitalen Speisekammer« bedeutet Anstellen bei den Getränken, zurück zum Tisch, dann Anstellen bei der Speisetheke, dort ein Gerät mitnehmen, das brummt, wenn das Essen fertig ist, zurück zum Tisch, wieder zurück ... Was sich der moderne Mensch so alles zumuten lässt! Nein, backen muss ich mir die Pinsa (= eine halbe Pizza zum gleichen Preis einer ganzen?) nicht und der nette Italiener vom Personal, das reichlich vorhanden ist, hat ein Einsehen mit der alten Frau und bringt mir mein Essen an den Tisch. Nun gut, ich werde von dem harten, dicken, geschmacklosen Teil nebst in der Brühe ertrunkenem Salat satt und muss nach dem Essen nicht in der Küche helfen. Meine ungeschönte Beurteilung des sogenannten Restaurants werde ich nebst 20 € beim Verlassen desselben bei der durchaus an meiner Rückmeldung interessierten Dame los. Für heute reicht es mir. Zurück durch den Regen zum Hotel, einen Absacker in der Bar und gute Nacht!
Samstag. Es ist trüb und regnerisch. Gegen 11 Uhr hole ich mein vorab gebuchtes Fahrrad an der Tourist-Info an der Frauenkirche ab und radle Richtung Neustadt, die inzwischen – aufgrund der o.g. Zerstörungen der Innenstadt im zweiten Weltkrieg – die eigentliche Altstadt ist. Das Leihfahrrad ist ein starrer Bock und gewöhnungsbedürftig. Die meistfotografierte »Attraktion« dürfte in diesen Tagen die am Mittwoch dieser Woche abgestürzte Carolabrücke sein, eine wichtige Verbindung, die wohl für lange Zeit ausfallen wird. Das Areal ist weiträumig abgesperrt und auf Neustädter Seite wird fieberhaft gearbeitet.
Ich überquere die Elbe über die Augustusbrücke, wo ich gleich am Beginn der Hauptstraße im Weltladen lande. Die ansprechende Gestaltung des Lädchens und die beiden freundlichen Verkäuferinnen verführen mich dazu, mir ein hübsches Oberteil zu leisten. Derart belohnt für die Mühen des Reisens setze ich meinen Weg zur Neustädter Markthalle fort, ein reizvolles Motiv nicht nur fürs Fotoauge.
Am Albertplatz in meinen Stadtplan vertieft, werde ich von einer strahlend lächelnden Frau angesprochen, ob sie mir helfen könne. Das kann sie. Die gleichermaßen hilfsbereite wie sympatische Dresdnerin gibt mir wertvolle Tipps zur Neustadt und wir kommen ins Gespräch, bei dem sich herausstellt, dass wir nicht nur den gleichen Vornamen haben und fast Altersgenossinnen sind, sondern auch die Liebe zur Fotografie und überhaupt zur Kunst teilen. Auch Ulrike Weiß, die sich netterweise bereit erklärt, sich ablichten zu lassen, ist vielfältig in der Kunstszene aktiv. Eine wunderbare »Begegnung des Tages«!
Ich folge ihren Tipps und radle in den Osten der Neustadt, ein angenehmes Viertel mit vielen kleinen Geschäften, Galerien und Werkstätten. In einem gemütlichen Café raste ich bei einer heißen Schokolade.
Zurück geht es im Zickzackkurs durch die Straßen, dank Fahrrad mit größerem Aktionsradius. Ich quere das Regierungsviertel und »erfahre« den Palaisplatz und etliche Villen im ruhigen Wohnviertel. Wieder ans andere Elbufer. Am Schlossplatz und rund um die Einkaufszentren erschlagen mich die Menschenmassen. Ich wage einen Blick in die Altplatzgalerie und frage mich nicht zum ersten Mal, wer all die Produkte kauft, die in diesen Konsumpalästen angeboten werden.
Nach einer Ruhepause im Hotel radle ich in die Wilsdruffer Vorstadt am Zwinger vorbei zum ältesten vegetarischen Restaurant in der Stadt. Inzwischen finde ich mich auch ohne Stadtplan zurecht und lande punktgenau an der »Brennnessel« in der Schützenstraße. Das liebevoll gestaltete Restaurant befindet sich im 350 Jahre alten Fachwerkhaus des Dresdner Umweltzentrums. Die Innenräume sind voll und meine Reservierung von heute morgen hat leider nicht geklappt. Dafür bieten mir die überaus freundlichen jungen Leute einen Platz im Innenhof an, nicht ohne mich mit Kissen und Decken zu versorgen, damit ich nicht friere. Das tue ich nicht, der Regen hat aufgehört, die Außentemperatur ist oberhalb meiner »Schmerzgrenze«. Und das Essen ist kreativ, frisch, heiß und superlecker, das Bio-Bier von Lammsbräu schmackhaft wie immer. So genussvoll kann Speisen sein!
Inzwischen ist es dunkel, doch mein Fahrrad verrät mir nicht, wo man sein Licht anschaltet. So schiebe ich mehr als ich fahre zurück zur Frauenkirche. Im Viertel gegenüber sollte der Eingang zur Tiefgarage sein, in die ich das Fahrrad vor 24 Uhr abstellen muss. Trotz zweier Umrundungen finde ich ihn nicht, erinnere mich aber, dass das Hilton etwas damit zu tun hat. Also gehe ich mit Fahrrad zur Rezeption desselben und bekomme von dem netten Mann dort den Weg erklärt. Das Fahrrad und ich trennen uns. Im Hotel genehmige ich mir noch einen Absacker an der Bar. Hier ist es mindestens so laut und voll wie im Dresdner Bahnhof, was nicht mehr verwundert, nachdem der inzwischen auch fast freundliche Mann an der Rezeption meine Vermutung bestätigt. In dem Hotel übernachten aktuell weit mehr als 1000 Personen.
Sonntag. Heute lässt der Himmel ein wenig Blau durchblicken, was selbst dem tristen Einkaufsviertel ein etwas gewinnenderes Antlitz verleiht. Bei einer Stadtrundfahrt verschaffe ich mir den ultimativen Überblick. Interessant ist die Fahrt in den Osten der Stadt am Großen Garten vorbei in das Villenviertel Blasewitz und über die Loschwitzer Brücke, das sogenannte Blaue Wunder – eine 1891 bis 1893 errichtete Stahlfachwerkkonstruktion –, an der Bergbahn entlang auf die Höhe zum Villenviertel Weißer Hirsch. Mehrere kleine Schlösser liegen auf der nördlichen Elbseite an der Bautzer Straße. Am Albertplatz verlasse ich den Sightseeing-Bus und mache einen Abstecher in das Erich-Kästner-Museum in der Villa Augustin, das gestern leider geschlossen war. Viel Zeit bleibt mir nicht mehr, so lasse ich das liebevoll gestaltete interaktive Konzept im Schnelldurchlauf auf mich wirken, lese hier ein paar Infos, öffne dort ein Schublädchen und erwerbe ein Buch des überzeugten Dresdners, das ich noch nicht kenne: »Als ich ein kleiner Junge war«
Ein paar weitere Haltestellen absolviere ich mit dem Tourbus und gehe den Rest zum Bahnhof zu Fuß noch kurz am Rathaus vorbei und zum letzten Mal durch die inzwischen fast angenehm vertraute Prager Straße.
Nach Leipzig fahre ich eine Stunde früher los, um genügend Puffer zu haben für den Anschlusszug – ICE nach Frankfurt (ja, den habe ich mir geleistet!). Der RE 50 ist wie zu erwarten voll aber ich bekomme mühelos einen Sitzplatz. In Leipzig habe ich dann Zeit, mir den Einkaufsbahnhof – vor und zurück, zurück und vor auf allen Ebenen – anzusehen. Reizüberflutung pur! Aber immerhin gibt es eine Alnatura, in der ich ein paar Lebensmittel für den nächsten Morgen erwerben kann.
Meine Bahn-App hatte mich vorgewarnt. Der ICE habe »ungewöhnlich hohe Auslastung«. Er kommt etwas zu spät und ist brechend voll. Stehen kann und will ich nicht, also lasse ich mich im Gepäckraum auf dem Boden nieder und lese mein Kästner-Buch. Die Schaffnerin ignoriert mich bei ihrem Ticket-Kontrollgang. Es ist bequemer als es scheint und bald schließen sich ein paar – zuvor noch über die Alte lächelnde – junge Leute meinem Beispiel an. Und ab Fulda habe ich sogar einen richtigen Sitzplatz.
Dank Verspätung verpasse ich in Frankfurt meinen Anschlusszug, wenn auch knapp. Die nächste Regionalbahn in meine Richtung ist die um 20.34 nach Heidelberg. Die nehme ich und packe regulär sitzend und – nachdem mein geplantes Abendessen im ICE-Restaurant ausgefallen ist – hungrig meine Vorräte aus, reiße mir ein Stück vom Brot ab und beiße in den Camembert, köstlich! Weil die Anzeige in der Bahn kaputt ist, ich vom Genuschel des Zugführers nur Heidelberg höre, und es draußen dunkel ist, steige ich versehentlich in Heidelberg-Wieblingen aus. Nun, die nächste Regionalbahn zum Hauptbahnhof hat Verspätung und die OEG fährt nur alle halbe Stunde. Aber allen Widrigkeiten zum Trotz lande ich gegen 23 Uhr da, wo mein Bett steht. Gute Nacht!